Klimakompatible Transformation
ProClim Flash 68
Konstantinos Boulouchos, Professor für Energietechnik, ETH Zürich
Die Mobilität der Zukunft darf bis in 40 Jahren kein CO2 mehr ausstossen. An Lösungsvorschlägen für den Mobilitätssektor mangelt es nicht, auch wenn sie oft der Komplexität des Themas nicht gerecht werden. Mit den folgenden exemplarisch aufgeworfenen Fragen und meinen Antworten dazu möchte ich die eine oder andere gängige Meinung hinterfragen.
Können Verhaltensänderungen die Nachfrage nach Mobilität genügend reduzieren und so entscheidend zur Eindämmung des Klimawandels beitragen?
«Überflüssige» Mobilität gibt es mit Sicherheit, aber sie ist schwer zu definieren. Gleichzeitig ist Mobilität für die Integration ärmerer Regionen in die Weltwirtschaft unabdingbar. Deshalb sollten wir die Verkehrsströme effizient und ressourcenschonend gestalten. Allen Auswegen zum Trotz: Emissionssenkungen gegen Null bedeuten den Umstieg aller notwendigen Verkehrsdienstleistungen auf erneuerbare Energieträger mit allen dazu erforderlichen Technologiesprüngen.
Sollten wir Langsamverkehr und ÖV prioritär unterstützen?
Der Ansatz ist durchaus sinnvoll. In städtischen Räumen ist die Unterstützung schon allein wegen etlicher anderer positiver Auswirkungen wichtig, insbesondere Lärmminderung. Wir müssen aber unsere Erwartungshaltung relativieren: Aus Schweizer Daten berechnet kann der Fahrrad- und Fussverkehr unter realistischen Bedingungen nur weniger als zehn Prozent fossile Energien aus der individuellen Mobilität ersetzen. Vielmehr erforderte der Umstieg aller Pendler in den fünf grössten Schweizer Agglomerationen eine Erhöhung der Beförderungskapazität des ÖV um 50 Prozent.
Bergen Digitalisierung und automatisiertes Fahren hohe Energiesparpotenziale?
Für die Befriedigung des Mobilitätsbedürfnisses im Einzelnen mag dies wohl zutreffen. Das grosse Energiesparpotenzial liegt aber im «ride sharing», nicht im «vehicle sharing». Wenn Autos nur geteilt werden, verringern sich die gefahrenen Distanzen noch nicht. Es zeichnet sich ab, dass die Kostenreduktion und der Gewinn an Komfort und Zeit des fahrerlosen Fahrens zu einer Zunahme der Mobilitätsnachfrage führen können und der herkömmliche ÖV mit Wettbewerbsnachteilen rechnen muss. Die «Entfossilisierung» der Mobilität dank Digitalisierung und Automatisierung ist eine riskante Wette, die wir nicht eingehen sollten.
Sollte die schnelle, weitgehende Elektrifizierung des Verkehrs für ein Land wie die Schweiz mit sehr niedrigem CO2-Ausstoss der Stromerzeugung nicht erste Priorität haben?
Erneuerbare, mehrheitlich via Elektrizität erzeugte Energieträger – je nach Sektor nebst Strom auch Wasserstoff und synthetische Kohlewasserstoffe – werden zweifelsohne langfristig die Mobilität definieren. Entscheidend aber für die Entfossilisierung des Verkehrs ist nicht die aktuelle Zusammensetzung des Strommixes eines Landes, sondern der CO2-Fussabdruck des zusätzlich für die Elektrifizierung der Mobilität erforderlichen Stroms. Nicht vergessen sollten wir den Bedarf nach der Ausschaltung bestehender, nicht nachhaltiger Kraftwerke.
Wir sollten deswegen unser Mobilitätssystem zuerst auf allen Ebenen effizienter machen (Benutzung, Fahrzeuge, Antriebe) und erst dann die Elektrifizierung mit der entsprechenden Infrastruktur in grossem Umfang vorantreiben, wenn die Lebenszyklusbilanz inklusive Stromerzeugung minimale CO2-Emissionen verursacht. Langfristig angelegte Strategien mit einem sektorspezifischen Portfolio von Möglichkeiten und eine transparente Information der Öffentlichkeit sind wichtig. Nur so schaffen wir Vertrauen und Akzeptanz für eine klimakompatible Transformation unseres komplexen Energie- und Mobilitätssystems.
Konstantinos Boulouchos
Professor für Energietechnik, ETH Zürich
Autoren: Prof. Dr. Konstantinos Boulouchos