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Ein grosser Kraftakt, aber machbar

ProClim Flash 77

Bis 2050 sollen der Verkehr, die Gebäude, die Stromproduktion – ja, das ganze Energiesystem der Schweiz – klimaneutral werden. Dazu braucht es Anstrengungen in allen Bereichen, ein koordiniertes Vorgehen über alle Energiesektoren hinweg und gute Beziehungen zum Ausland.

Um das Netto-Null-Ziel zu erreichen braucht es Anstrengungen in allen Bereichen, wobei die Schritte zeitlich aufeinander abgestimmt werden müssen. So muss z. B. die Gebäudesanierung vor dem Einsatz von Wärmepumpen erfolgen, damit der Strombedarf im Winter nicht zu stark ansteigt. (Grafik aus erwähntem Bericht)
Bild: ProClim

Netto null Treibhausgasemissionen bis 2050 – so lautet das Ziel, das der Bundesrat unter Berücksichtigung des Pariser Klimaabkommens festgelegt hat. Doch unser heutiges Energiesystem ist immer noch stark abhängig von fossilen Energieträgern. Damit es dereinst klimaneutral wird, muss in den kommenden Jahren ein grosser Umbau stattfinden. Wo liegen die grössten Herausforderungen? Was sind mögliche Strategien? Ein im 2022 veröffentlichter Bericht der Akademien der Wissenschaften Schweiz hat sich dieser Fragen angenommen und skizziert Wege zu einer klimaneutralen und sicheren Energieversorgung bis 2050. Der folgende Text gibt die wichtigsten Erkenntnisse daraus wieder.

Photovoltaik und Wasserkraft bilden das Rückgrat

Die im Bericht skizzierte Energieversorgung der Zukunft basiert hauptsächlich auf einheimischer Wasserkraft und Photovoltaik. Die Stromproduktion aus Photovoltaik muss stark erhöht werden und um mindestens ein Gigawatt pro Jahr steigen, kleinere Beiträge sind von der Windkraft und allenfalls der Tiefengeothermie zu erwarten (der Artikel «Welche Landschaften eignen sich am besten?» zeigt auf, in welchen Landschaften die Bevölkerung Energieanlagen am ehesten akzeptiert). Erneuerbare Brennstoffe werden im Winter das dritte Standbein für die Stromproduktion werden (ob auch Biomasse dafür in Frage kommt, lesen Sie im Artikel «Vielseitig einsetzbar, aber nur begrenzt verfügbar»). Die Entwicklung neuer Kernkrafttechnologien sollte weiter beobachtet werden, wird aber bis 2050 voraussichtlich keine nennenswerten Beiträge liefern können.

In Zukunft wird zudem die Kopplung verschiedener Energiequellen und Energienetze immer wichtiger. Strom, Wärme und Treibstoff müssen zusammen gedacht werden. Denn erst diese Kopplung bringt Flexibilität für eine stabile Stromversorgung. So lassen sich beispielsweise mit überschüssigem Solarstrom im Sommer zur Entlastung des Stromnetzes Tieftemperatur-Wärmepumpen oder Kühlanlagen betreiben. Bei Produktionsspitzen von Photovoltaik um die Mittagszeit können Batterien von stehenden Elektroautos geladen werden.

Nur eine verstärkte Einbindung in den internationalen Energiemarkt ist kosteneffizient

Um die Luftfahrt und den Schwerverkehr zu dekarbonisieren, sind in Zukunft synthetische Treibstoffe gefragt. Für deren Herstellung sind grosse Mengen an erneuerbarem Strom notwendig. Die Treibstoffe können deshalb in der Schweiz und in Zentraleuropa aus klimatischen Gründen kaum allein im Inland produziert werden. Dafür sind Länder mit hoher Sonneneinstrahlung oder mit viel Wind deutlich besser geeignet, weil die Volllaststunden um ein Mehrfaches höher liegen. Der Bericht empfiehlt deshalb, Kooperationen mit einzelnen Staaten für künftige Lieferungen schon heute anzugehen. Auch ein Stromabkommen mit der EU ist für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung von grosser Bedeutung für die Schweiz (mehr dazu im Beitrag «Schweizer Alleingang ist nicht das Ziel»). Trotz dem Import grosser Mengen erneuerbarer synthetischer Energieträger würde unsere Auslandabhängigkeit im Energiebereich bei einer CO2-armen Versorgung aber um etwa die Hälfte bis zwei Drittel abnehmen und wäre auf mehr Länder verteilt als heute.

Strategie für alle Energiesektoren

Der Bericht nennt fünf Handlungsfelder, die für die Dekarbonisierung aller Energiesektoren beachtet werden sollten. Erstens geht es darum, Energiedienstleistungen weniger zu beanspruchen. Konkret heisst das, dass wir z. B. weniger fliegen oder die Raumtemperatur senken. Weiter soll die Effizienz von Geräten, Maschinen, Indus­trieprozessen, Autos usw. erhöht werden. Beispielsweise kann die Abwärme, die bei der Stromnutzung entsteht noch weiterverwendet werden. Oder auch Gebäudesanierungen wie etwa bessere Isolationen steigern die Effizienz (wie die Sanierungsrate in der Schweiz zukünftig erhöht werden könnte, erfahren Sie im Artikel «Ölheizungen werden oft erst ausgetauscht, wenn sie kaputt sind»).

Der wesentlichste Beitrag aber ist, die auf fossilen Brennstoffen beruhenden Technologien zu ersetzen durch solche, die mit erneuerbaren Energiequellen betrieben werden. Wichtig dabei ist, dass vor dem Ersatz das Effizienzpotenzial soweit als möglich ausgeschöpft wurde. Denn wenn z. B. Wärmepumpen zeitlich vor der Gebäudesanierung installiert werden, führt das zu einer unnötig hohen Energienachfrage. Weiter sollte auch die Wiederverwendung von Materialien in allen Bereichen forciert werden. Denn eine Schwierigkeit bei den erneuerbaren Energien ist die Gewinnung von Rohstoffen für Speicherung, Batterien und Elektromotoren. Aber auch beispielsweise in der Baubranche gibt es grosses Potenzial, Materialien wiederzuverwenden.

Als letzten Schritt geht es darum, schwer vermeidbare Emissionen, beispielsweise aus der Abfallverbrennung oder der Zementproduktion, wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Dazu braucht es Technologien, die das CO2 durch chemische oder biologische Prozesse aus der Atmosphäre entfernen und permanent speichern können.

Handlungsfelder der Politik

Ein CO2-Preis-Mechanismus für alle Energiesektoren ist ein wichtiger Schritt für die Transformation. Ein geeignetes Instrument dafür ist das Europäische Emissionshandelssystem EHS. Nachteile für Haushalte mit niedrigem Einkommen und für ländliche Gebiete sollten verhindert werden, z. B. mit einer Lenkungsabgabe mit Rückverteilung. Für die Wirtschaft, Investoren und Hauseigentümerinnen ist bei politischen Massnahmen zudem langfristige Planungssicherheit wichtig. Es sollte soweit als möglich langfristig definiert sein, welche Massnahmen zu welcher Zeit getroffen werden, allenfalls unter welchen Bedingungen. Gleichzeitig sollte die Möglichkeit bestehen, die Massnahmen dem Stand der Entwicklung in den Sektoren, zum Beispiel dem Reifegrad der Technologien anzupassen. Weiter hält der Bericht fest, dass (Emissions-)Grenzwerte, die regelmässig der technischen Entwicklung angepasst werden, einem Verbot bestimmter Techniken vorzuziehen sind.

Für den Ausbau der erneuerbaren Energien wird zudem ein raumplanerisches Gesamtkonzept empfohlen, das sowohl Gebiete definiert, wo der Bau von Energieanlagen hohe Priorität geniesst, als auch Gebiete, wo die Interessen von Biodiversität und Landschaft hohe Priorität haben. Nicht zuletzt erwähnt der Bericht, dass mit der Energiewende einzelne Branchen und Berufe praktisch verschwinden oder sich stark ändern – andere hingegen müssen sehr rasch aufgebaut werden, inklusive der Fachkräfte. Auch diese Entwicklung sollte von der Politik angemessen begleitet werden.

Um das Netto-Null-Ziel zu erreichen braucht es Anstrengungen in allen Bereichen, wobei die Schritte zeitlich aufeinander abgestimmt werden müssen. So muss z. B. die Gebäudesanierung vor dem Einsatz von Wärmepumpen erfolgen, damit der Strombedarf im Winter nicht zu stark ansteigt. (Grafik aus erwähntem Bericht)
Um das Netto-Null-Ziel zu erreichen braucht es Anstrengungen in allen Bereichen, wobei die Schritte zeitlich aufeinander abgestimmt werden müssen. So muss z. B. die Gebäudesanierung vor dem Einsatz von Wärmepumpen erfolgen, damit der Strombedarf im Winter nicht zu stark ansteigt. (Grafik aus erwähntem Bericht)Bild: ProClim

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